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Strom: Verbot der Gasverstromung nicht möglich – Atomkraftwerke könnten trotzdem länger laufen

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Münster – Union und FDP plädieren dafür, Strom nicht mehr mit dem fossilen Energieträger Gas zu erzeugen. So fordert Bundesfinanzminister Christian Lindner gar einen Stopp der Stromproduktion mit Gas und dafür einen Weiterbetrieb der Atomkraftwerke. Doch eine komplette Abschaltung der Gaskraftwerke ist in der aktuellen Situation schlicht nicht möglich.

Die Vorstellung, die Stromerzeugung aus Gaskraftwerken zu reduzieren und dafür Atomkraftwerke einfach länger laufen zu lassen, erscheint nur auf den ersten Blick und oberflächlich betrachtet plausibel. Doch es könnte einen ganz anderen Grund für den AKW-Streckbetrieb geben, der massive Ausfall französischer Atomkraftwerke über den kommenden Winter 2022/23 hinaus.

Wärmegeführte Gaskraftwerke können nicht abgeschaltet oder kurzfristig ersetzt werden
In Deutschland sind zahlreiche Gaskraftwerke im Einsatz, die in erster Linie Dampf bzw. Wärme für die Fernwärme erzeugen und nebenbei als Zusatzprodukt Strom produzieren. Diese gasbetriebenen GuD-Kraftwerke sind Kombianlagen. Deren Einsatz ist allerdings wegen der Anbindung an das örtliche Fernwärmenetz an den Standort gebunden. Sie können daher nicht einfach abgeschaltet oder anderweitig ersetzt werden.

Allenfalls können Gaskraftwerke ohne Wärmeauskopplung durch andere Kraftwerke ersetzt werden, wenn diese nicht systemrelevant sind oder netzdienliche Leistungen erbringen müssen. Das reduziert die Anzahl der möglichen, abschaltbaren Gaskraftwerke deutlich.

Flexible Gaskraftwerke für Netzstabilität notwendig – Atomkraftwerke zu träge
Neben den derzeit nicht abschaltbaren, wärmegeführten Gaskraftwerken könnten solche Gaskraftwerke ersetzt werden, die ausschließlich Strom erzeugen. Allerdings wohl nur solche Gaskraftwerke, die auf dem Strommarkt in der Grund- oder Mittellast eingesetzt werden und daher nicht beispielsweise als besondere netztechnisches Betriebsmittel für Notsituationen gedacht sind.

Die Stromnachfrage schwankt im Laufe eines Tages erheblich, auch an Wintertagen ist die Stromnachfrage anders als im Sommer. Auf Änderungen in der Stromnachfrage durch die Stromkunden erfolgen direkte Anpassungen der Kraftwerksleistung. Ein Grundbedarf an Strom besteht immer, egal oder Tag oder Nacht, Sommer oder Winter. Dieser Bedarf wird durch träge und schlecht regelbare Grundlast-Kraftwerke wie Braunkohle- oder Atomkraftwerke im Dauerbetrieb abgedeckt.

Oberhalb der Grundlast, d.h. stundenweise vermehrte Stromnachfrage etwa morgens, zur Mittagszeit oder abends werden durch Mittellastkraftwerke wie Steinkohlekraftwerke abgedeckt. Treten weitere, zeitlich noch kürze Nachfragespitzen auf, so werden diese durch schnell reagierende Spitzenlastkraftwerke wie Pumpspeicher- oder Gaskraftwerke gepuffert. Diese hochflexible Aufgabe der Gaskraftwerke kann ein Atomkraftwerk nicht gleichwertig übernehmen.

AKW-Desaster: Müssen deutsche Atomkraftwerke im Winter 2022/23 Frankreich mit Strom versorgen?
Die Atomkraftwerksflotte in Frankreich befindet sich in einem desolaten technischen Zustand. Eigentlich stehen insgesamt 56 französische Atomkraftwerke mit einer Leistung von rd. 61.500 MW für die Stromproduktion zur Verfügung. Rund zwei Drittel dieser AKW-Leistung ist nicht im Einsatz, nur etwas mehr als ein Drittel (35%) der zur Verfügung stehenden Atomkraftwerksleistung kann produktiv eingesetzt werden. Der Rest steht still. Mit Stand heute (12.08.2022) sind schon jetzt durch den AKW-Ausfall im Jahr 2022 insgesamt 40 Milliarden Kilowattstunden Atomstrom weniger in Frankreich produziert worden als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Zum Vergleich: die drei verbliebenen Atomkraftwerke in Deutschland haben seit Jahresbeginn bis heute nur 19,85 Mrd. kWh Atomstrom produziert.

Die Folgen für Frankreich sind regelrecht explodierende Strompreise. Vor allem für den kommenden Winter 2022/23 zeichnet sich schon jetzt eine Stromkrise in Frankreich ab, auch weil Großbritannien wegen der Abschaltung von weiteren drei Atomkraftwerken in diesem Jahr weniger Strom exportieren kann. Der kommende Preisanstieg lässt sich schon jetzt an den aktuellen Future-Strompreisen ablesen, die durch die Decke gehen. So wird französischer Grundlaststrom an der Strombörse EEX heute zur Lieferung im ersten Quartal 2023 für satte 1.015 Euro pro MWh, d.h. rd. 1,02 Euro pro Kilowattstunde, gehandelt.

Vor dem Hintergrund der Nichtverfügbarkeit französischer Atomkraftwerke könnte es aus diesem Grund auf einen Streckbetrieb deutscher Atomkraftwerke hinauslaufen, auch wenn die Stromleitungskapazitäten zwischen Deutschland und Frankreich begrenzt sind. Möglicherweise hilft Frankreich dann im Gegenzug Deutschland bei der Erdgasversorgung aus. Bleibt allerdings die entscheidende Frage, wer das Risiko für den Weiterbetrieb der deutschen Atomkraftwerke übernehmen und Sicherheitsgarantien ohne Abstriche geben wird.


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12.08.2022

 



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